Der Glaube an Veränderung – Die Bewegung Maria 2.0

Forming, Storming, Norming, Performing: eine Bewegung formiert sich

Letzte Woche habe ich mich mit Andrea Voß-Frick getroffen. Sie ist eine der Mitbegründerinnen der Graswurzelbewegung Maria 2.0, einer Aktionsgruppe von Frauen, die sich formiert hat, um zum einen gegen die, aus ihrer Sicht, schlechte Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der Katholischen Kirche aufmerksam zu machen. Zum anderen wurde eine Botschaft an alle gesendet, die sich in der Kirche nicht mehr so aufgehoben fühlen und die für sich einen Ort suchen, wo sie ihre Spiritualität leben können. Eine Gruppe, die wie eine Welle durch Deutschland gegangen ist und viele Anhängerinnen und auch Anhänger gefunden hat. Ich freue mich sehr, dass wir heute über das Thema Veränderung sprechen. Dabei geht es nicht nur um die Veränderungsprozesse einer solchen Bewegung sondern auch die eigene Entwicklung.

I: Liebe Frau Voß-Frick, wir haben uns schon ein bisschen miteinander beschäftigt. Und natürlich bin ich total neugierig und möchte gern wissen: sind Sie eigentlich ein veränderungsfreudiger Mensch?

B: Ich habe keine Angst vor Veränderungen. Ich glaube Veränderung gehört zum Leben dazu. Und jede Veränderung trägt natürlich auch zur Entwicklung bei. Wenn wir immer stehenbleiben, dann kommen wir weder vorwärts noch haben wir die Möglichkeit uns weiterzuentwickeln. Und dazu gehört natürlich auch sowohl positive als auch negative Erfahrungen zu machen, eben Veränderungen.

I: Wie schon eingangs erwähnt Sie sind Mitbegründerin der der Graswurzelbewegung Maria 2.0. Um so etwas in Gang zu setzen, muss es doch ein großes Bedürfnis nach Veränderungen geben. Man braucht viel Kraft und Durchsetzungsvermögen, um so etwas in Gang zu setzen und auch in Schwung zu halten. Wie war Ihre Gefühlslage, als sich diese Bewegung gegründet hat? Können Sie dazu ein wenig ausführen?

B: Ich glaube der Ursprung war einfach der sehr große Leidensdruck, den wir alle in dieser Kirche hatten. Es war gar nicht so sehr dieser Wunsch nach Veränderung, sondern eher das Leiden an dem, wie es ist, also an dem Zustand. Und daraus ergibt sich natürlich dann, dass man denkt: da muss sich dringend etwas verändern. Und der Leidensdruck war zu dem damaligen Zeitpunkt sehr groß aufgrund der Studie, die die Deutsche Bischofskonferenz in Auftrag gegeben hatte zum Thema sexualisierte Gewalt in der Katholischen Kirche. Und ich glaube, was uns alle am meisten erschüttert hat und was dann letztendlich auch den Ausschlag gegeben hat war, dass so klargeworden ist, wie stark die Kirche zur Vertuschung dieser Taten beigetragen hat. Dass es immer um die Institution ging, nie um die Menschen. Für uns war plötzlich klar, dass das mit dem wofür diese Kirche steht, also dem christlichen Glauben, gar nichts zu tun hat. Und dass man es in dieser Kirche so gar nicht mehr aushalten kann. Damals haben wir dann beschlossen: es gibt im Prinzip nur zwei Möglichkeiten, wir gehen oder wir bleiben und versuchen noch einmal, Dinge in Bewegung zu bringen. Und damals war dann unsere Entscheidung ganz klar: wir versuchen nochmal alles, um diese Kirche irgendwie zu verändern. Seitdem sind jetzt fast drei Jahre schon vergangen. Es war ein Januar Abend, wo wir zusammengesessen haben und diese Idee sozusagen das erste Mal aufkam oder klar war, dass wir irgendwie ins Handeln kommen.

I: Das ist auch eine meiner Fragen: was es in Gang gesetzt hat? Sie sagen, irgendeiner hat diesen Gedanken einmal formuliert. Und dann stellte sich heraus: ganz viele empfinden ähnlich.

B: Ja. Wir waren eine kleine Gruppe, so ein Lesekreis in Heilig-Kreuz. Wir haben gemeinsam ein Buch gelesen, eine Enzyklika von Papst Franziskus. Und die Lisa Kötter kam an einem dieser Abende, wo wir zusammengesessen haben, wir waren nur fünf, sechs Frauen, also eine ganz kleine Gruppe, auch zu diesem Leseabend dazu. Wir konnten gar nicht lesen oder weiterlesen, weil sie so entsetzt und beschäftigt war mit einer Dokumentation die sie gesehen hatte. Und zwar: Das Schweigen der Hirten. Das lief damals auf Arte in der Mediathek. Da hat sie uns von erzählt. Und in dieser Dokumentation geht es eben genau um dieses Thema, der ganz gezielten und systematischen Vertuschung von sexualisierter Gewalt. Und wenn man sich diese Dokumentation anschaut, dann kann man viele Dinge darin eigentlich gar nicht glauben oder fassen. Also wir waren wirklich fassungslos. Wir haben uns alle natürlich dann auch diese Dokumentation im Nachgang nochmal angeschaut. Eigentlich war das der Impuls, dass Lisa damals diese Dokumentation gesehen hat und ihr Entsetzen in die Gruppe getragen hat und wir alle genauso entsetzt waren. Und dadurch ist es eigentlich zur Gründung dieser Gruppe gekommen.

I: Und das hat sozusagen auf alle übergegriffen?

B: Genau.

Bewegung Maria 2.0

Eine Bewegung formiert sich

I: Sie haben sich dann zusammengeschlossen, mit dem gemeinsamen Wunsch: es muss jetzt was passieren.

B: Genau. Wir müssen zumindest noch einmal alles versuchen. Und wir haben dann gemeinsam diesen einen Brief formuliert an Papst Franziskus, in dem wir klar formuliert haben, was aus unserer Sicht geschehen muss. Aus diesen Formulierungen heraus kam dann auch die Idee zu sagen: wir Frauen müssen uns einfach dieser Institution verweigern. Daraus kam dann dieses Schlagwort, was dann von den Medien aufgegriffen wurde: Kirchenstreik, Maria 2.0. Und das war, glaube ich, auch etwas, was sehr dazu beigetragen hat, dass das dann wie so ein Lauffeuer plötzlich um sich gegriffen hat. Weil es das seltsamerweise vorher noch nie gegeben hat in der Kirche. Das war etwas Neues und auch Unerhörtes für viele, glaube ich. Und dadurch hat es relativ schnell einen sehr großen Bekanntheitsgrad bekommen und um sich gegriffen. Manchmal fragen wir uns selber wie das passiert ist. Wir hatten gar nicht die Idee, dass das so passieren würde. Wir haben am Anfang gedacht: vielleicht machen ein paar Gemeinden hier in Münster oder Münster Land mit und dann freuen wir uns.

I: Also es gab keinen Plan, in dem Sinne keine wirkliche Aktion, wo man sich hingesetzt hat und hat sich überlegt, wie man jetzt damit an die Öffentlichkeit geht?

B: Nein.

I: Welche Schlagworte man jetzt irgendwie nach vorne bringt.

B: Nein, nein, das war alles sehr unprofessionell. Das war der Heilige Geist, der gewählt hat.

I: Was heißt unprofessionell? Das ist sehr natürlich.

B: Vielleicht war es auch das daran, dass es eben nicht so eine PR-Aktion war, die von vorne bis hinten durchgeplant war. Sondern, dass wir einfach gemacht haben, was wir glauben, was das Richtige ist und sehr überzeugt waren, vor allen Dingen auch von dem, was wir getan haben. Und ich muss dazu sagen: wir hatten natürlich bei den Medien auch Glück vor allen Dingen. Wir haben das damals, als wir den Brief veröffentlicht haben, zur Pressekonferenz eingeladen. Also, auf lokaler Ebene, dachten wir uns. Aber dann hat aber sich erstmal überhaupt niemand dafür interessiert. Und dann kam unser Engel sozusagen, die Heike Zafar vom WDR. Und die hat sich dafür interessiert. Also die hat gesagt: sie kommt und bringt auch gleich ein Fernsehteam mit, so ungefähr. Und dann haben wir nochmal die Einladung verschickt mit der Bitte um Rückmeldung, da eben auch ein Fernsehteam da sei. Und dann wollten natürlich plötzlich alle irgendwie mit dabei sein. Das war ganz spannend, weil das, zumindest mir damals, überhaupt nicht klar war, wie diese Medien funktionieren. Da haben wir sehr viel gelernt. Das hat dann einfach dazu beigetragen, dass es zumindest auf lokaler Ebene dann schonmal in Schwung kam und dann ganz schnell auch darüber hinaus.

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